Auf historischen Abbildungen, die das Schießen mit mandschurischen Bogen zeigen, ist oft ein Zurückführen des Zugarmes bzw. Abklappen des Zugunterarmes in kreisförmiger Richtung gen Rücken zu sehen.
Dieses wird, nicht zuletzt aufgrund der Abbildungen selbst, oft als essentiell wichtig und typisch für chinesisches Bogenschießen in mandschurischer Form angesehen.
Jene Ansicht ist nur teilweise zutreffend.
Ob eine solche Bewegung notwendig ist oder nicht, richtet sich vielmehr nach dem jeweilig anstehenden Auszug bzw. der Auszugslänge des Schützen im Verhältnis zum Leistungsbereich des Bogens.
Liegt der Auszug aufgrund des Leistungsbereichs des Bogens und / oder der körperlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Schützen recht nahe zur Körperachse, will heißen zur Wirbelsäule als dem Zentrum der körperlichen Kraft und Fixpunkt der rotierenden Auszugsbewegung, ist ein nach den voranstehenden Ausführungen kontrolliertes und kraftvolles Lösen ohne weitere Bewegungen des Zugarmes möglich.
Eine solche Auszugslänge liegt der Erfahrung nach vor, wenn sich die Zughand kurz hinter dem Ohrläppchen der Auszugsarmseite oder noch näher zur Körpermitte hin befindet.
In diesen Fällen sollten weitere Bewegungen des Zugarmes wie Zurückführen des Zugarmes bzw. Abklappen des Zugunterarmes zum Ablass unterlassen werden. Sie sind überflüssig und eher geeignet, den Schuss negativ zu beeinflussen bzw. zu „verreißen“, denn zu verbessern.
Befindet sich die Zughand jedoch weiter von der Körpermitte entfernt oder ist sie, wie beim Gebrauch mandschurischer Bogen typischerweise, bei anliegendem, den individuellen Verhältnissen entsprechendem, optimalem Auszug ein wenig vor der Höhe des Schultereckgelenkes des Zugarmes zu verorten,
ist ein nach den voranstehenden Ausführungen kontrollierter und kraftvoller Ablass ohne weitere Bewegungen des Zugarmes nicht oder nur noch mit erheblichen Schwierigkeiten möglich.
Ursache dafür ist, dass zum einen das zur Ermöglichung des rotierenden Auszuges notwendige Heranführen bzw. beabsichtigte Herumführen des Zugarmschulterblattes um die Wirbelsäule und die daraus folgenden Bewegungen der mit diesem verbundenen Extremitäten (Zugarm, Zugellenbogen, Zughand etc.) zur Körpermitte aufgrund des langen Auszuges, der die Entfernung des Zugarmschulterblattes und dessen Anhängsel wie Zugarm und Zughand von der Wirbelsäule bedingt, länger dauert, als bei kürzerem Auszug.
Die „Kreisbahn“ der beabsichtigten Rotation ist schlichtweg um einiges länger und die sich auf ihr befindlichen Extremitäten benötigen somit mehr Zeit für die Auszugs-, Rotations- und somit auch für die Löse- bzw. Ablassbewegung.
Zum anderen kommt es durch den langen Auszug zu einer signifikanten Verschiebung der Masse des Zugarmschulterblattes nebst Zugarmes und Zughand von der Körperachse vom Schützen hinweg.
Infolgedessen braucht es zum beabsichtigten Herumführen des Schulterblattes um die Wirbelsäule auch mehr Kraft an sich, da eine Kraftentfaltung an einer Extremität umso schwieriger, je weiter dieselbe von der Körperachse entfernt ist.
Ein Beispiel dafür ist etwa das Heben und folgende, lange Halten eines gefüllten Glases von einem Tisch: Mit eng am Körper anliegenden und angewinkeltem Arm ist das Anheben und nachfolgende Halten um einiges einfacher, denn mit einem ausgestreckten Arm.
Somit würde ein Lösen, würde es in der obbeschriebenen Art erfolgen, länger dauern und schwächer ausfallen.
Ergebnis dessen wäre letztlich ein schwacher Ablass, welcher fast immer zu einem unruhigen Pfeilflug („Wedeln“/“Rudern“), verbunden mit Reichweiteverlust, ungenauer bzw. unsicherer Trefferlage bis hin zu Bruchgefahren für das Pfeilmaterial bei Anschlagen des Pfeiles am Bogen oder vibrationsreichem Einschlag auf das Ziel führen würde.
Dieser Problematik kann jedoch mit dem erwähnten Zurückführen des Zugarmes bzw. Abklappen des Zugunterarmes in kreisförmiger Richtung gen Rücken erfolgreich begegnet werden.
Die Bewegung erfolgt zunächst in der Form, dass sämtliche Abfolgen der Expansion und des Lösens unverändert wie beschrieben ablaufen:
Dass heißt, dass dadurch, dass sich das Zugschulterblatt zum Torso hin spiralförmig abwärts um die Wirbelsäule zu wickeln sucht, der Zugoberarm und Zugarmellenbogen als dessen Anhängsel zwangsläufig ebenfalls leicht abwärts zum Rücken hin bewegt werden und sich dabei leicht zum Körper des Schützen hin drehen. Dadurch drehen sich Zugunterarm und Zughandgelenk/-hand vom Körper weg.
Im Moment des Lösens sucht der Zugellenbogen infolge der Weiterführung in einer kreisförmigen Bewegung leicht zum Rücken hin nach unten abzuklappen.
Jedoch kann bei weit von der Körpermitte entferntem, langen Auszug der Zugarm nicht derart im Ellenbogen gebeugt belassen werden, auf dass der Unterarm und das Handgelenk, der Trägheit geschuldet, mit einer leichten Kipp-Wipp-Bewegung nach oben klappe.
Ein solches Resultat ist aufgrund der weiter von der Körpermitte entfernten Lage von Auszugshand und Auszugsellenbogen anatomisch nur schwer möglich, da sich das Ellenbogengelenk des Zugarmes bei langem Auszug nicht mehr resolut Einbeugen und über das Zugarmschulterblatt zum Rücken Richtung Wirbelsäule hin ziehen läßt.
Daher wird im Moment, in dem es aufgrund des Lösens der Sehne vom Ring und Freiwerden des Schusses zu einem signifikanten Zugabfall an der Zughand kommt, der Zugunterarm im Zugellenbogengelenk sofort entspannt, wobei der Zugoberarm jedoch in seiner Entfernung zum Torso verbleibt, mithin nicht vom Körper weggestreckt wird.
Dadurch kommt es trägheitsbedingt, also ohne aktives Handeln des Schützen, zu einem gleichsam „explosionsartigen“, halbkreisförmigen Ausklappen des Unterarmes in natürlicher Führung des Ellenbogengelenkes vom Schützen hinweg.
Man kann diesen Vorgang etwa mit der Situation beim Tauziehen zweier Personen vergleichen: Ziehen beide mit der gleichen Kraft an den jeweiligen Enden des Taues kommt es zu einem Gleichgewicht und keine Seite kann die andere weiter vor- oder zurückziehen. Läßt aber plötzlich eine Person das Tau los, kommt es zu einem Spannungsabfall und die andere fällt trägheitsbedingt in ihre ursprüngliche Zielrichtung nach hinten um.
Ungeachtet dessen wird die Rotationsbewegung des Zugarmschulterblattes um die Wirbelsäule herum fortzusetzen gesucht.
Im Ergebnis dessen kommt es zu einer teilweisen Streckung des Zugarmes, welcher durch die fortdauernde Rotation des Zugarmschulterblattes Richtung Wirbelsäule sowie der Trägheit geschuldet leicht aufwärts zum Rücken hin gezogen wird.
Hierbei ist zu beachten, dass bei der Bewegung zum einen das Ellenbogengelenk nicht ganz durch- oder gar überstreckt wird, also ein „Durchschlagen“ verhindert wird, da dieses für den Vorgang unnötig und zudem verletzungsträchtig wäre.
Zum anderen sollte der Oberarmkopf des Zugarmes beim dorsal gesteuerten Zurückführen des Schulterblattes nebst Zugarmes eng in der Schultergelenkspfanne verbleiben, will heißen, es solle die gesamte Bewegung obgleich der Streckung des Ellenbogengelenkes zentriert und kraftvoll ausgeführt werden, ohne dass gleichsam der Zugarm als Ganzes vom Schützen gleichsam wegzuwerfen gesucht wird. Eine solche Bewegung würde Kraftverlust mit sich bringen und den ohnehin anfälligen Schulterbandapparat unnötig der Gefahr von Verletzungen aussetzen.
Schlußendlich sollte es kein aktives Verreißen oder gar gleichsam gewaltkraftaktartige Versuche des Wegreißens des Zugarmes in Richtung einer Streckung und folgender Bewegung hin zum Rücken oder in Richtung des Pfeilendes geben.
Die Bewegung des teilweise gestreckten Zugarmes gen Rücken erfolgt gleichsam automatisch durch den Versuch der dorsalen Schultermuskulatur und Teilen der Rückenmuskulatur, das Zugarmschulterblatt nach unten hin um die Wirbelsäule zu drehen.
Man könnte die aus diesem Vorgang letztlich resultierende Endstellung des Armes mit der eines Kellners vergleichen, der auf einem fast gestreckten Arm ein Tablett kunstvoll zu balancieren sucht.
Durch die beschriebene Bewegung entsteht ein langer, größtenteils trägheitsgeführter Hebel, mit dem sich eine, für ein sauberes, fehlerfreies Lösen bei langem Auszug notwendige Kraftentfaltung ohne – im Fall des langen Auszuges ohnehin nicht mögliche – erhebliche, aktive muskuläre Kraftanstrengung realisieren läßt.
Daher ist bei dem für mandschurische Schießweise typischen, langen Auszug ein Lösen in der beschriebenen Form sinnvoll, wenn nicht gar die einzige Möglichkeit, um einen kraftvollen und sauberen Ablaß und somit einen treffsicheren Pfeilflug zu gewährleisten.